Hannover

25 Jahre Wissenschaft und Wiedervereinigung

Vom 6. - 7. Juli 2015 fand im Schloss Herrenhauses, Hannover, die von der Volkswagen-Stiftung und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft ausgerichtete Tagung "25 Jahre Wissenschaft und Wiedervereinigung. Erfahrungen, Erfolge, Erwartungen" statt. Meine Eindrücke von der Tagung schildere ich im Weiteren

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Begrüßung
25 Jahre sei die Fusion des west- und ostdeutschen Wissenschaftssystems nun her. Und um dies zu unterstreichen hielt der Generalsekretär der Volkswagen Stiftung Wilhelm Krull eine "kleine Drucksache", wie Johanna Wanka das Heftchen später nannte, in die Höhe, in dem auf 37 DIN A5 Seiten die Empfehlungen des Wissenschaftsrates für die Zukunft des deutschen Hochschulsystems formuliert worden waren. Diese Broschüre sei ab Februar 1990 unter Einbeziehung verschiedener Politiker und Wissenschaftler der DDR entstanden. Dann geht er auf eigene Erinnerungen aus dieser Zeit ein – ein Format, das sich durch mehr als die erste Hälfte der Tagung zieht - und weist auf die für ihn wohl besonders prägenden Momente hin, in denen Terpe und Meyer in den Wissenschaftsrat kamen. Den früheren Mitgliedern des Wissenschaftsrates und der Bundesministerin dankt er an dieser Stelle noch einmal gesondert für ihr Erscheinen.

Als zweiter Tagungsorganisator begrüßt dann anschließend der Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft e. V. Andreas Schlüter die Gäste. Er berichtet aus Gesprächsprotokollen von 1990 mit den Rektoren der DDR-Hochschulen, aus denen Euphorie wie auch Ängste zu erkennen waren.

Forschung, so Schlüter, sei in der DDR oft Unternehmensforschung gewesen, die sofort wegbrach, als die Ost-Firmen von West-Firmen übernommen worden waren.

Erster Rednerblock

Nach der Begrüßung ging das Wort zunächst an die Bundesministerin Johanna Wanka. Ihren eigenen Erfahrungsberichten wollte sie zunächst noch kurz vorwegschicken, dass sie für ihren Haushalt für 2016 einen Ressortaufwuchs von 7,6 Prozent erreichen konnte. Als Mittelbaulerin sei sie Zeitzeugin gewesen. Und sie finde es heute irritierend, wie lange oft über Kleinigkeiten diskutiert werden müsse und wie große Entscheidungen um 1990 in kürzester Zeit getroffen werden konnten. Dies sei eine Phase ohne Anleihen gewesen, in der neue Wege gesucht werden mussten und auch Irrtümer passiert seien, die heute eingestanden werden müssten. Damals seien Busse des Wissenschaftsrats zu den Hochschulen gekommen. Und alle hätten gewusst, dass diese dort aussteigenden Gutachter die eigene Hochschule in kürzester Zeit hätten schließen können. Schnelle - und daher auch unsaubere - Entscheidungen seien wichtig gewesen, weil eine lange Phase der Unsicherheit dazu geführt hätte, dass die Leistungsträger abgewandert wären.

Zu Wendezeiten habe im Osten eine Studierquote von 10 Prozent bestanden und es wurde erwartet, dass sich die Quote in wenigen Jahren an die West-Quote angleichen werde. Der Aufwuchs kam aber nicht so wie erwartet, stattdessen kam der Demographische Wandel. Durch den Hochschulpakt seien die neuen Aufbauten im Osten gesichert worden.

Der Wandel sei letztlich radikaler gekommen als in den Empfehlungen des Wissenschaftsrates skizziert. Sie sprach von einem Professor Hartmann, der vor der Wiedervereinigung zahlreiche Habilitationsverfahren betreut hatte und der nach der Wiedervereinigung, weil seine Technische Universität nun zu einer Fachhochschule geworden war, nicht einmal mehr Gutachter für Promotionen sein konnte. Forschung sei zwischenzeitlich aber den Fachhochschulen auch ins Gesetz geschrieben worden - zu allerletzt sogar in Bayern. Man habe das tradierte System des Westens auf den Osten übertragen, ohne den Mut zu zeigen, auch Gutes zu bewahren. Das Chemiewerk Leuna-Buna habe große Forschungsabteilungen gehabt. Diese regionale Expertise brach dann weg - die Leute kamen in Altersteilzeit. Von diesem Rückbau sei der Osten immer noch geschädigt. In ihrer Hochschule habe es aktuelle Forschungsliteratur aus dem Springer-Verlag als russische Raubkopien gegeben. "Möllemann II" sei sehr wichtig gewesen, gleichwohl die Beträge heute lächerlich wirken.

Die Akademien der Wissenschaft hätten in der DDR das Promotionsrecht gehabt. Heute seien die außeruniversitären Institute im Osten überproportional stark vertreten, weil es dort eine Tradition der Anwendungsoriertierung gibt, und auch die Zusammenarbeit mit den Universitäten funktioniere besser, weil beide Institutionentypen gleichzeitig wieder aufgebaut wurden und die Vorbehalte daher viel geringer als im Westen waren.

Unter den Westdeutschen, die an die ostdeutschen Hochschulen gingen, hätten auch Viele große Risiken auf sich genommen. Aber der "Nachwuchs in Wartestellung" konnte nun oftmals leichter auf eine Professur gelangen. Die Wissenschaftslandschaft im Osten sei durch nur wenigen Personen, die dann in viele Berufungskommissionen gingen und dort die Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten vornahmen, stark geprägt worden. Die hätten ihre Schüler untergebracht. Der Kanzler an ihrer Hochschule sei "ein ganz Cleverer" gewesen - der habe seinen eigenen Bereich erst mal gut ausgebaut.

Nun ging das Wort an Winfried Schulze vom Wissenschaftsrat. Er betrachte Geschichte als offenen Prozess. Man habe damals 130 Institute in nur eineinhalb Jahren evaluieren müssen. Daran seien etwa 500 Gutachterinnen und Gutachter beteiligt gewesen - unter ihnen nur wenige Ostdeutsche: Auch, weil die wenigen politisch Unbelasteten die Gutachtertätigkeit oft ablehnten. Die Blaue Liste, in der die Finanzierung zur Hälfte vom Bund gestellt wurde, wurde dann zu einem Sammelbecken. Die Begutachteten hatten den Gutachten oft zugestimmt, d. h. die Ergebnisse wurden für passend gehalten. Im Osten gebe es mittlerweile auch erstaunliche Erfolge zu sehen. So habe z. B. die Universität Jena eine beachtliche Graduiertenakademie, in Brandenburg finde man an Fachhochschulen auch Forschungsprofessuren und das Projekt "Dresden Konzept" erhielt für die Ausschreibung von zehn open topic-Professuren etwa 1.000 Bewerbungen.

In der folgenden Diskussion erinnert sich Wanka an die Busse des Wissenschaftsrats und daran, dass sie der eigenen Hochschulleitung noch weniger vertraut hatte, als den Gutachtern des Wissenschaftsrats. Krull erinnert daran, dass nicht nur für die Bewertung bestehender Einrichtungen Gutachter gebraucht wurden, sondern gleichzeitig auch noch Personen, die in die Gründungskommissionen der Neugründungen in Erfurt und in Frankfurt/Oder gingen. Kern zufolge habe es in den 1990ern auch Bestrebungen gegeben, die außeruniversitären Einrichtungen in die Universitäten hineinzubringen. Und Mittelstraß hatte sich bekannterweise für eine Reform des westdeutschen Systems ausgesprochen, bevor eine Überbauung auf den Osten vorgenommen werden sollte. Der Wissenschaftsrat habe damals eine weitaus größere Gestaltungsmacht gehabt als heute. Dem hält Wanka entgegen, dass die Umsetzung der Empfehlungen letztlich durch gewählte Politiker vorgenommen werde. Kohl selbst habe auch einen 10-Punkte-Plan gehabt, der aber zu lange gedauert hätte. Krull merkt an, dass die westdeutschen Verwaltungsspitzen in den ostdeutschen Hochschulen keine Spitzenkräfte gewesen seien. Nach Wankas Auffassung seien diese zu schnell auf hohe Posten gekommen.
Auf eine Frage aus Jena zur Exzellenz-Initiative erläutert Brenzle, dass er für ostdeutsche Hochschulen keine Nachteile in der Ex-Ini sehen könne. Auch abgelehnte Hochschulen hätten anschließend positive Entwicklungen machen können. Krull konkretisiert, dass sich die Frage aus Jena wohl eher auf die Organisationsgröße der mit Erfolg rechnenden Einrichtungen bezogen habe. Dazu meint Brenzle, dass hier die Kooperation mit außeruniversitären Einrichtungen der Schlüssel zum Erfolg sei. Hier greift dann Wanka ein und legt dar, dass sie vor den Ergebnissen der Imboden-Kommission nichts zu den Kriterien der nächsten Runde sagen werde. Aber sicherlich sei die Ex-Ini kein Regionalförderprogramm. Und im Osten werde derzeit 2/3 des Personals öffentlich finanziert und nur 1/3 privat. Wogegen das Verhältnis im Westen genau umgekehrt sei. Aber sicher dürfe man ungleiche Dinge nicht gleich behandeln. Und auch im Westen sei die regionale Ungleichverteilung sehr groß. Und darüber hinaus komme bald ein 100-Millionen-Programm heraus, aus dem zehn Fachhochschulen gefördert werden sollen. Vielleicht seien dort ja schon mal ein paar ostdeutsche Fachhochschulen dabei.

Michael Göring richtet die Frage an Wanka, wer bei der Transformation denn auf der Strecke geblieben sei. Mittelstraß bietet die Erklärung an, dass man zu Wendezeiten keine Chance hatte, wenn man mit seinem Fach in einer Sektion (entspricht einem Fachbereich / einer Fakultät) saß, die irgendetwas mit "marxistisch" oder so im Namen hatte. Da habe es Ungerechtigkeiten gegeben, für die man sich heute nicht mehr bei den Betroffenen entschuldigen könne. Melcher warf ein, dass nach der Wende unter den Wissenschaftlern mehr Parteimitglieder waren als vor der Wende - allerdings von einer anderen Partei. Und darüber hinaus habe es oft jene getroffen, die nicht zum Reise-Kader gehörten und die daher auch kaum internationale Publikationen vorweisen konnten. Da ist Wanka anderer Auffassung: Die Parteileitung habe entschieden, wer international publizieren durfte. Die Chemiker durften, die Mathematiker nicht - weil Mathematik unwichtiger war. Krull meint, dass sie bei der Evaluierung in einigen Betrieben Grundlagenforschung und in einigen Akademien angewandte Forschung gefunden hätten.
In dieser ganzen engagierten Diskussion kam irgendwann auch das Thema auf das geplante tenure track-Programm. Wanka meinte dazu, dass die Parteien nun ihre Positionen aufgeschrieben hätten, was ja auch so in Ordnung sei. Sie verhandle nun mit den Ländern. Und nach ihrer Auffassung gebe es sowohl an Universitäten als auch an Fachhochschulen zu wenige Dauerstellen. Aber ein Promotionsrecht für Fachhochschulen halte sie für den falschen Weg. Und in dem Fall bekämen die MPIs vorher noch das Promotionsrecht - und dann sei sie Kooperationsbereitschaft zwischen außeruniversitären Instituten und Universitäten auch vorbei. Prenzel schließt die Diskussion mit der Bemerkung, dass der Wissenschaftsrat derzeit noch an einer Empfehlung zu Dauerstellen an Fachhochschulen arbeitet.

########## Mittagspause ##########

Nach der Mittagspause begann dann ein Block, der mit „Rückblick auf 1990/91“ angekündigt war, und den Schlüter als Moderator mit der zweifach wiederholten Aufforderung eröffnete, einen durchaus subjektiven Blick auf die Ereignisse einzunehmen und darzulegen. Dieser Teil wurde dann doch nicht nur wegen des hervorragenden Essens, das die Volkswagenstiftung gerade serviert hatte, sehr ermüdend. Daher verkürze ich meine Notizen an dieser Stelle auch stark.

Zunächst hatte Jürgen Kocka das Wort, der in der eineinhalbjährigen Evaluationsphase Vorsitzender der AG Geisteswissenschaften war. Wissenschaft und Politik hätten sich in dieser Phase stark überschnitten, es habe ein hoher Zeitdruck und ein sehr asymmetrisches Verhältnis bestanden: Westler urteilten über die Zukunftsmöglichkeiten von Ost-Wissenschaftlern. Das West-Lager sei dabei aber keinesfalls homogen gewesen. Es habe augenblicklich ein Konkurrenzkampf unter den West-Wissenschaftlern eingesetzt. Und auch im Ost-Lager kamen lang etablierte Konfliktlinien zum tragen. Abschließend findet er aber, dass es eine Erfolgsgeschichte gewesen sei.


--- Fortsetzung der Notizen geplant ---

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Dr. Veit Larmann
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