Strategieoptionen für Hochschulen

Digitalisierung der Hochschullehre

Die Tagung fand am 07.06.2016 im Haus der Patriotischen Gesellschaft statt, wurde vom Stifterverband, dem CHE und der HRK ausgerichtet und von der Arbeitsgruppe „hochschulforum digitalisierung“ gestaltet. Diese Arbeitsgruppe hat zwischenzeitlich 19 Arbeitspapiere veröffentlicht.

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Haus der Patriotischen Gesellschaft

Was Digitalisierung heißt und was nicht:
Mit „Digitalisierung“ ist nicht das Abfilmen von Vorlesungen oder das Umstellen von Studiengängen auf reine Online-Lehre gemeint. Die Erfahrungen mit diesen schlichten Formaten zeigen, dass weder die Professor*innen noch die Studierenden Lust auf diesen Unsinn hätten. Denn dadurch würde die Lehre keinesfalls verbessert und das Lernen keinesfalls erleichtert werden. Auch digitale Neuerungen, wie das Einholen von Meinungsbildern in großen Vorlesungen per „Klicker“ (eine Umfragegerät, das stark an eine kleine TV-Fernbedienung erinnert) oder per Hochschul-App, würden Studierende zwar in den ersten zwei Sitzungen noch gut finden, seien dann aber auch sehr schnell genervt von einer übermäßigen Anwendung diese Abstimmungstechnologie.
Mit „Digitalisierung“ ist gemeint, dass Lehrende in einem meist noch ganz grundsätzlich zu erweiterndem lehrdidaktischen Repertoire auch die sich durch neue Medien bietenden Potentiale nutzen können. Es geht also um die Erweiterung des lehrdidaktischen Repertoires, weil sich so Inhalte gegebenenfalls leichter vermitteln lassen. Digitale Medien können hierzu einen relevanten Beitrag leisten. Der physische Lernraum wird ergänzt, nicht ersetzt. Digitalisierte Lehre bietet einen neuen Zugang zu Themen, spricht unterschiedliche Lerntypen an, bietet die zeitliche Flexibilisierung. Die Digitalisierung soll helfen, Studienabbrüche zu reduzieren.
Wo die Digitalisierung vorgenommen wurde, kam es auch schon zu negativen Folgen: So hätten Lehrende noch vor wenigen Jahren ihre Lehrveranstaltungen auf ihren Websites detailliert dargestellt, d.h. den Aufbau der Lehrveranstaltung, die geplanten Themen und Beispiele, die Besonderheiten, die innerhalb der Lehrveranstaltung irgendwann geplant seien (ein Rollenspiel, ein Firmenbesuch, ein Outdoortraining etc.) und letztlich auch die vorgesehenen Prüfungsformate oder auch die erzeugten studentischen Arbeiten. All diese für Kolleg*innen als wertvolle Inspirationen dienenden Darstellungen seien mittlerweile in Moodle verschwunden, bzw. seien dort nur noch eingeschränkt sichtbar.

Wo und wie Hochschulen erfolgreich in der Digitalisierung voran kamen:
Projektträger der Digitalisierung sind meist die (1) Medienzentren, oft auch (2) Lehrdidaktische Zentren aber auch (3) die zentralen Bibliotheken. Dort werden Lehrende unterstützt und beraten. Hochschulleitungen haben nach der Entscheidung für eine Digitalisierung dieses Projekt zu ihrer Sache gemacht. Hierfür braucht die Leitung ein offenes Zeitfenster, um das leider auch viele andere wichtige Projekte einer Hochschule konkurrieren. Hier muss also abgewogen werden.
Digitalisierung spielt an Fachhochschulen in der Weiterbildung eine große Rolle, bei Universitäten in der Werbung um internationale Studierende: Diese setzen die Digitalisierung z. B. bei internationalen Kooperationen in der hochschulübergreifenden Lehre (double degree) ein – analog zu Forschungsverbünden also Lehrverbünde in einem Fach.
Der Aufwand der Digitalisierung lohnt sich nur, wenn damit ein zentrales Hochschulziel besser erreicht werden kann. Ansonsten ist der Aufwand zu groß.

Sichtbarkeit der Lehre:

In der Forschung können Professor*innen Sichtbarkeit erreichen, d. h. große Laborgebäude können alle Kolleg*innen neidisch machen, Drittmittelpersonal kann eine Entourage bilden, die alle in der Mensa bewundern. Eine irgendwie geartete Sichtbarkeit müsse auch mit guter Lehre erreicht werden können. Für die Forschung interessierten sich Professor*innen schon aus Eigeninteresse. Fördere die Hochschulleitung nicht die Lehre, dann mache es keiner.
- Die Fakultät Bauingenieurwesen der RWTH Aachen veröffentlicht ein anhand von Lehrevaluationsergebnissen erstelltes Ranking ihrer Professor*innen und zeichnet die Bestplatziertesten aus einer jährlichen Rücklage von etwa 40.000 Euro aus. Die genaue Zuweisungssumme an zusätzlichen Lehrstuhlmitten ergibt sich dann zur Hälfte über den Rangplatz und zur Hälfte über die Zahl der Fragebogenrückläufe. Damit möchte die Fakultät einen Fairnessausgleich schafften, sodass Kolleg*innen mit überaus großen Vorlesungen auch eine Chance haben, zu den Bestplatzierten zu gehören.
Würden viele hoch dotierte Lehrpreise verliehen, dann würden sich Professor*innen auch mehr in der Lehre engagieren.
Auch organisatorisch sollten Support- und Dienstleistungsstrukturen für die Lehre mit jenen der Forschungsförderung/Forschungsbüros gleichziehen. Lehre könne aber auch ganz pauschal aufgewertet werden, in dem architektonisch herausragende Lehrgebäude, z. B. mit „Lernwaben“, den optischen Mittelpunkt der Hochschule besetzen.

Warum deutsche Hochschulen in der Digitalisierung international so rückständig sind:
Es gibt immer etwas wirklich Wichtigeres, denn Digitalisierung ist nie ein dringendes Problem und wird nicht weit debattiert. Bei der Bologna-Einführung gab es das Dringlichkeitsproblem und eine breite Debatte.
Es ist durch die Pakte viel Geld im System, aber es sind keine nachhaltig ausfinanzierten Stellen vorhanden. So gelingt kein Kompetenzaufbau. Große Universitäten lassen derzeit viele Projekte abheben und halten einige Haushaltsstellen für den Tag zurück, an dem sie die erfolgreichen Projekte weiterführen wollen.
Die Digitalisierung der Lehre ist immer erst einmal Mehraufwand für die Lehrenden. Wird diese Mehraufwand nicht gewürdigt und durch Unterstützungsleistungen abgefedert, werden Handlungen wieder eingestellt.
Studierende sind nicht die Förderer digitaler Lehre. Sie sind auch kritisch, weil sie die Einstiegshürden digitaler Systeme kennen und fürchten.

Praxisbeispiele:


RWTH Aachen

Die RWTH möchte zurückgehenden Eingangskompetenzen und immer komplexer werdende Lerninhalte mithilfe adäquatem lehrdidaktischen Verbesserungen begegnen. Die Fakultät WiWi habe innerhalb von 18 Monaten ihre komplette Lehre auf flipped classroom umgestellt.
An der RWTH werden die „Digitalisierungskümmerer“ als zentrales Erfolgselement gesehen. Diese Professor*innen mit größerem Interesse an der Digitalisierung werden speziell geschult und unterstützt und vertreten die Digitalisierung in ihrem Fach / in ihrem Fachbereich. Damit gelangt Wissen in die Fächer. Denn Ingenieurprofessor*innen würden es in der Regel fürchten, mit Lehrdidaktiker*innen sprechen zu müssen – das würde sie wahnsinnig machen: Sie wollten passende Tipps und keine psychologischen Hintergründe hören. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen hingegen seien der Digitalisierung gegenüber aufgeschlossen. Für diese Zielgruppe habe man einen viertägigen Workshop konzipiert. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen transportieren die Digitalisierung dann in den Lehrstuhl.
Für das Durchführen einer digitalen Prüfung wurden den Lehrstühlen jeweils zusätzliche 2000 Euro zugewiesen.
Mit einer maximal dreiseitiger Skizze können Lehrende ein Digitalisierungsprojekt vorschlagen und damit für 12 Monate eine halbe E13-Stelle zur Umsetzung erhalten. In sechs Jahren seien so 79 Projekte zustande gekommen.
Die RWTH produziert auch einige wenige kurze Filme z. B. von aufwendigen Laborexperimenten, die dann nur mit wenigen englischsprachigen Textbausteinen beschrieben werden („Hier passiert dies, hier passiert das...“). Diese Filme haben dann nur vor und nach dem Experiment ein Branding („This movie was brought to you by...“), sodass der interessante Mittelteil weltweit in der Lehre eingesetzt werden kann, ohne das der/die Professor*in die RWTH als Herausgeber zeigen muss (Open Education Resources).
Die RWTH hat im übrigen auch die manpower die Digitalisierung voranzutreiben, weil sie etwa 100 Azubis hat, die eine Industrieausbildung in Techno-Mathematik machen: Eine Industrieausbildung mit einer Fachhochschule, bei der die Azubis ihre Praxisphasen in der RWTH ableisten.
Erfahrung aus der Einführung: Professor*innen kann man für ein Projekt gewinnen, in dem man jene, die mitmachen, ins Rampenlicht stellt. Dann wollen die anderen meistens auch.



TU München

An der TUM habe man das Medienzentrum durch didaktische und juristische Kompetenz ergänzt, es zu einem „one stop shop“ ausgebaut. Materialien werden dort auch korrekturgelesen. E-Tutoren helfen bei der Umsetzung der Lehre und haben den studentischen Blick. Ein Mitarbeiter sei damit betraut, unter den Professor*innen Kaltakquise durchzuführen und sie telefonisch für ein Beratungsgespräch im Medienzentrum zu gewinnen. Dass die Studierendenvertretung dazu aufgerufen hatte, Lehrende in ihren Evaluationen schlecht zu bewerten, wenn sie digitale Potenziale nicht für ihre Lehre nutzen, habe auch Druck auf die Entwicklung gebracht. Die TUM produziert einige wenige MOOCs für die internationale Studierendenwerbung. Diese MOOCs werden zunächst hochschulintern ausgeschrieben und dann extrem hochwertig produziert.

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Dr. Veit Larmann
info (bei) veit-larmann.de
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