Wissenschaftszeitvertragsgesetz

GEW-Nachfolgekonferenz Berlin

16. Januar 2015: Die GEW lud zum 6. Follow up-Kongress des Templiner Manifests nach Berlin in die ka­tholische Akademie. Hier veröffentliche ich einige meiner Notizen:

Marlis Tepe eröffnete mit einem Begrüßungsbeitrag, in dem sie auf den GEW-eige­nen Entwurf zur Novellierung des WissZeitVG hinwies, und machte insbesondere die Forde­rung „Dauerstellen für Daueraufgaben“ stark. Dann geht sie auf einige bundespolitische Themen ein: Die lobenswerte Abschaffung des Koope­rationsverbots, bei den Schulen müs­se dieses Kooperationsverbot aber noch fallen. Die Aufhebung der Altersgrenze beim Bafög sei ein nächstes wichtiges Projekt der GEW. Erst wenn diese falle, könne auch später im Leben ein Masterstu­dium zu vergleichbaren Bedingungen durchgeführt werden. Und auch die durch Bo­logna intendierte Zweistufigkeit werde dann erst faktisch hergestellt.

Andreas Keller erläutert nun die Gründe, warum man einen eigenen Entwurf des Wiss­ZeitVG entwickelt habe. Zunächst zeigt er, wie sich das Ver­hältnis von un­befristeten zu be­fristeten Mitarbeitern laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (2013) von 1:4 (in 2005) zu 1:9 (in 2012) entwickelt habe.
Keller macht den wichtigen Punkt, dass das WissZeitVG das Unwesen in der Befristungs­praxis ermöglicht, aber nicht die Ursache ist. Diese liege vielmehr in der Projektförmig­keit der Hochschulfinanzierung. Und er zeigt auch die Geschlech­ter-Schere, die sich im Wis­senschaftssystem mit jedem Qualifizierungsschritt weiter öffnet, d. h. die Frauen verlassen das Wissenschaftssystem.

Das WissZeitVG sei ein Sonderarbeitsrecht, dass das Finanzierungsrisiko in unge­wöhnlich hoher Weise an die Beschäftigten weitergebe. Die GEW bearbeitet die Beschäftigungsbe­dingungen des Wissenschaftssys­tems auf verschiedenen Ebenen gleich­zeitig: Viele Hoch­schulen hätten mittlerweile Leitlinien für faire Beschäfti­gung verabschie­det, auf Ebene der Bundesländer sind mittlerweile entweder auf Ebene der Landespolitik (Hamburg, Zielver­einbarungen) oder auf Ebene der Landesrektorenkonferenzen (NRW) ei­nige Beschäfti­gungsstandards festgelegt worden. Heute gehe es um die Bundesebene. Dort falle positiv auf, dass der Koalitionsvertrag zwei Absätze zur Beschäftigung enthalte. Aller­dings seien diese sehr unverbindlich formuliert (man wolle „flankieren“).

Hauck-Scholz erläutert im Folgenden den GEW-eigenen Entwurf zum Wiss­ZeitVG. Das Sonderrecht für Befristungen sei 1985 eingeführt worden. Damit soll­ten einerseits Befris­tung möglich gemacht werden, sie sollten aber gleichzeitig nicht ins Un­endliche führen (5 Jahre) und sollten für die Hochschulverwaltungen relativ einfach zu handhaben sein. Die Rechtssprechung machte daraus, dass 5 Jahre jeweils pro Befristung – und zwar pro Hoch­schule – möglich sein sollten. Die Folge daraus war der bekannte Befristungstourimus, nach der Logik „nimmst du meinen Mitarbeiter, nehme ich deinen Mitarbeiter“.

Einen Sachgrund finden und formulieren zu können, sei immer sehr kompliziert ge­wesen. Sei in der Beschäftigung dann von der definierten Aufgabe einmal abgewi­chen worden, dann war damit der Befristungsgrund verletzt und somit ungültig ge­worden und die Person war umgehend entfristet.

Und weil der Sachgrund so kompliziert war, habe man im WissZeitVG sehr großzü­gige Qualifizierungszeiten eingeführt. Drittmittel wurden als Befristungsgrund mit in das Gesetz hineingeschrieben. Diese müssten nun aber wieder raus. Nun sollen Daueraufgaben weder nach WissZeitVG noch nach Teilzeitbefristungsgesetz mög­lich sein. Einige Landesgesetze hätten die LfBAs auch zu wissenschaftlichem Perso­nal gemacht, einige Gerichte hätten das anders gesehen.  Nichtwissenschaftliches Personal soll nun nicht mehr als Drittmittelperso­nal gezählt werden können, weil es zur Infrastruktur der Hochschule gehöre. Im GEW-eigen­en Entwurf des Wiss­ZeitVG wird die Qualifizierung zum Sachgrund erklärt. In diesen Arbeitsverträgen sollen nun 50 Pro­zent der Arbeitszeit für die eigene Qualifizierung vorge­sehen werden. Der GEW-eigene Ent­wurf soll eine Befristung nach der Promotion nur noch möglich machen, wenn da­mit eine Tenure Track - Option verbunden ist (das verabredete Qualifizierungsziel soll begut­achtet und anschließend soll die Entfristung vorgenommen wer­den). Die Mindestvertrags­laufzeit für Promotionsstellen soll drei Jahre sein, für Dritt­mittelstellen der jeweilige Pro­jektzeitraum. Derzeit sei die familienpolitische Kom­ponente noch vom Willen des Arbeit­gebers abhängig, der GEW-eigenen Entwurf fordert eine auto­matische Verlängerung um zwei Jahre.

Der vorgestellte Gesetzentwurf wird von acht Vertretern kommen­tiert

Personalvertretung der außeruniversiären Forschungseinrichtungen (Bibra):
Er möchte, dass die Mittelzuweisungen des Bundes an jene Länder reduziert wer­den, in de­nen die Arbeitsverträge nicht entsprechend der verabredeten Regeln ge­staltet werden.

Vertreter der Junior-Professoren (Bunia):

Er ist der Auffassung, dass weniger das WissZeitVG und vielmehr die Stellenstruk­turen in den Hochschulen das Kernproblem darstellen. Die Struktur sehe Dauerstel­len derzeit nicht vor! Der Qualifizierungsbegriff sei zudem unmöglich – derzeit sei jede Tä­tigkeit unterhalb der Professur eine Qualifizierung. Jeder auf einer Qualifizierungs­stelle Beschäftigte führe auch Daueraufgaben aus. Bunia lobt den Ansatz der auto­matischen Entfristung, wenn das verabredetet Qualifizierungsziel erreicht sei. Aller­dings betrachtet er es als sehr riskant und problematisch, diese Zielerreichung begut­achten zu lassen. Er betont, dass das WissZeitVG nicht zur Befristung zwingt, es er­möglicht sie nur. Daher wünscht er sich entsprechende Bundesprogramme.

Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten (Niehoff):

Sie geht sehr detailliert und konkret auf den Gesetzesvorschlag ein. Sie möchte, dass Voll­zeitstellen der Regel­fall werden. Sie lobt den vorgesehenen Rechtsanspruch auf Verlänge­rung bei Kin­dererziehung (auch bei Drittmittelprojekten). Sie meint, die überdurchschnitt­lich kurzen Befristungszeiträume bei Frauen seien nicht allein mit der Kinderbetreuung zu er­klären. Sie beobachtet hier auch Rückschritte im Wissenschaftssystem. Sie schlägt Ziel­quoten für die Frauen auf Dauerstel­len vor. Die GEW solle den Gender-Bias mehr in den Fokus nehmen. Insgesamt habe sie im Gesetzentwurf der SPD bessere Ansätze zur Ge­schlechtergerechtigkeit und Durchlässig­keit finden können.

Leibniz-Gesellschaft (Christiane Neumann):
In den außeruniversitären Instituten habe man etwas seltener als in den Universitä­ten be­fristete Verträge. Sie lobt die GEW-Initiative und explizit das Engagement der Grünen Bun­destagsfraktion. Auch sie bemängelt den Begriff der Qualifizierung im WissZeitVG. Auch sei das WissZeitVG eben nur ein Teil des Problems und es müsse ein Systemwechsel er­reicht werden. Bei der Leibniz-Gesellschaft gebe es seit März 2013 Karriereleitlinien, de­nen die Institute folgen müssen, d. h. sie sind in der Im­plementierung, auch gerade, was das Monitoring betrifft.
Neumann ist Juristin, weshalb es ihr wichtig ist zu betonen, dass wir unbefristete Verträge zwar als Regelfall definieren, deren Auflösung aber gleichzeitig so erschweren würden, dass wir den Regelfall faktisch gar nicht anwenden können. Mit unserem Ar­beitsrecht ma­chen wir momentan das Gegenteil, als die besten Köpfe zu holen.
Positionen im Wissenschaftsmanagement erscheinen den sehr guten Wissenschaft­lern heute attraktiver, als ihre Beschäftigung in Forschung und Lehre. Da sei eine interne Konkurrenz entstanden.
Den GEW-eigenen Gesetzentwurf hält sie für nicht handhab­bar und die dringenden Sy­stemprobleme würden dadurch nicht behoben. Sie be­fürchtet eine Ver­schlimmbesserung, d. h. eine Abdrängung in das Teilzeitbefris­tungsgesetz, wodurch die Ar­beitsverträge dann auf zwei Jahre begrenzt werden. Auch der skizzierten Tenure Track - Option misstraut sie, denn sie biete nicht die benötigte Verlässlich­keit, wie wir sie für die Personalentwicklung bräuchten.

Der freie Zusammenschluss der Studierendenschaften (Philippi):

Dass an dieser Stelle auch ein Studierendenvertreter etwas Wertvolles zur Sache sa­gen soll, war bei einer Gewerkschaftsveranstaltung zu erwarten. Hierzu habe ich mir allerdings nur wenige Notizen gemacht. Grob gesagt: Er kam auf die Finanzabhängigkeiten der Hoch­schulen, die Hochschulräte und ver­schiedene Ausgrenzungsdimensionen zu sprechen.

Thesis (Anna Tschaut):
Tschaut war die einzige Podiumsteilnehmerin, die ihren Vortrag ablas. Das machte ihre Aus­führungen aber nicht schwächer, sondern, da sie eine Fülle pointierter An­merkungen brachte, erstaunlich bemerkenswert. Sie meinte, dass sie von einer Novel­lierung des Wiss­ZeitVG auch keinen Systemwechsel erwartet habe. Befristung sei nicht mo­ti­vierend, son­dern eine rechtliche Benachteiligung. Sie fordert eine dreijährige Mindest­vertragslaufzeit und eine Akzeptanz der Beschäfti­gung mit einer Qualifizierung – der Dok­torarbeit – als Arbeit, denn das sage ja auch schon der Begriff.

HRK (Hochschulrechtler Henning Rockmann):
Rockmann bezieht sich – verständlicher Weise – sofort auf den Orientierungsrah­men der HRK. Die Deadline für die Einreichung der hochschuleigenen Orientierungsrahmen (das for­muliert er hier härter, als ich es der HRK-Empfehlung entnehmen kann) sei Mai 2015. Bis dahin sollen die Fakultä­ten ihr Dauerstellenpotential aufzeigen.
Das WissZeitVG werde ein Kompromiss werden und das Problem nicht lösen können. Der Bund müsse dauerhaftes Geld für Daueraufgaben geben.

DFG (Harald von Kalm, Stellvertr. Generalsekretär):

Von Kalm warnt vor den Folgen, die mit dem GEW-eigenen Gesetzent­wurf verbunden wä­ren. Er präferiert Zielvereinbarungen zwischen den Hochschulen und den Ländern und gut gemachte Personalentwicklung auf Ebene der Fakultäten. Ihm macht es Sorge, dass der vorliegende Entwurf (1.) die Lehre aus dem Qualifizie­rungsweg heraus­nimmt. Das würde nämlich dazu führen, dass man irgendwann Pro­fessoren ohne Lehrerfah­rung berufen wür­de. Zudem würden (2.) längerfristige Verträ­ge dazu führen, dass weniger Promotionen in Deutschland geschrieben werden wür­den. (3.) Bei der Kopplung der Mindestbefristungsd­auer an die Laufzeit des Drittmit­telprojektes könne herauskommen, dass Projekte ge­stückelt und nur noch jährliche Förderungen beantragt werden. (4.) Eine Tenure-Option würde zu sehr in die Auto­nomie der Hochschulen eingreifen. Im Weiteren folgt er dann ei­ner Argumentation, die ich nicht mehr Ernst nehmen konnte. Gleichzeitig wurde auch das Publikum im­mer lauter. Auch wenn er das nicht so ausgedrückt hat, so habe ich aus seinen Wor­ten herausgehört, dass der Industriestandort Deutschland als ge­fährdet gelten müsse, wenn sich nicht mehr so viele Leute wie heute in ihrer Qualifizie­rungsphase aufrie­ben. In dem Zusammenhang spricht er von einer schützenswerten „Post­Doc-Kultur“ (Das hat er ernsthaft gesagt! An der Stelle war dann kein Halten mehr im Pu­blikum)

Podiumsdiskussion der Parteienvertre­ter

Kai Gehring (Grüne) bedankt sich bei der GEW, die schon so lange auf die Defizite des WissZeitVG hinweist. Im Frühjahr soll nach grünem Wunsch ein Pakt oder eine Bund-Län­der-Vereinbarung, ein neues Juniorprofessorenprogramm und eine Novel­lierung des Wiss­ZeitVG auf den Weg gebracht werden. Er möchte, dass die For­schung auch konkurrenzfä­hig gegenüber der Wirtschaft und dem Hochschul- bzw. Wissenschaftsmanagement bleibt.

Simone Raatz (SPD): Auf die Frage von Kate Maleike, woran die Bundesregierung gerade arbeite, antwortet sie, dass ihr das auch nicht ganz klar sei. Raatz ist Bericht­erstatterin für das WissZeitVG in der SPD. Sie meint, kein Arbeitgeber gehe mit sei­nen Mitarbeitern strukturell so schlecht um, wie die Universitäten mit ihrem Nach­wuchs. Die Eckpunkte der SPD seien: (1.) Mindeststandarts für Befristungen: Pro­motionszeit 3+1 Jahre. Befristungen sollen sich an der Aufgabe orientieren. (2.) Die Drittmittelbefristung soll an die Laufzeit der Projekte gekoppelt werden. (3.) ... habe ich nicht genau verstanden ... irgendetwas mit PostDoc-Phase und Promotionsbe­treuung.

Alexandra Dinges-Dierig (CDU): Die CDU habe kein Zeitziel, wann das Wiss­ZeitVG re­formiert werden soll. Es sei nur ein Element dessen, was man für den wissenschaftlichen Nachwuchs tun möchte. Der Bund würde sich wünschen, dass die Länder die freigesetzten BAföG-Mittel dafür nutzen würden, in der PostDoc-Phase Entfristungen anzubieten. Der Bund will Zuweisungen künftig an Bedingungen knüp­fen, wie z. B. Personalentwicklungs­programme und -konzepte in den außeruniversitären Einrichtungen.

Kate Maleike fragt nach, ob das WissZeitVG nun auf die lange Bank geschoben werde.

Alexandra Dinges-Dierig (CDU): Wir müssen ein Paket haben, mit dem wir die Umgehung des WissZeitVG, bzw. dessen Intention, verhindern, bspw. durch Bund-Länder-Vereinba­rungen. In 2016 soll das Paket auf jeden Fall umgesetzt werden.

Ralf Lenkert (LINKE): Er ist der Auffassung, dass der, der ein Gesetz schafft, auch Umge­hungen sanktionieren könne. Er hat den Eindruck, dass Frau Wanka derzeit viel zu viele Sachen hat, die sie finanzieren möchte. Lenkert erwähnte im Weiteren u.a., dass das Wiss­ZeitVG geschaffen worden war, weil zu viele gut ausgebildete junge Menschen in der Uni­versität bleiben und nicht in die In­dustrie wechseln wollten.

Kai Gehring (Grüne): Er möchte die Befristungen nicht komplett abschaffen, eine gewisse Dynamik sei im Wissenschaftssystem nötig. In Richtung der CDU-Vertreterin betont er, dass der Bund sich nun nicht mehr hinter den Län­derkompetenzen verstecken könne. Der Bund können nun Dauer­stellen an die Hochschulen geben. Und es sei auch nicht redlich zu argumentieren, dass die Länder nach der Übernah­me der BAföG-Mittel hierfür genügend Geld hät­ten: In den Ländern sind manchmal andere Probleme dringender, so wie in Nieder­sachsen die KiTa-Finanzierung. Aber der Bund habe wichtige Steuerungsmöglich­keiten, wie in die Pakte auch dauerhafte Mittelbaustellen als Personalkategorie ein­zuführen, nicht wahrgenommen.

Simone Raatz (SPD): Die Novellierung des WissZeitVG müsse kommen, aber sie sei nur ein Baustein. Noch in diesem Jahr soll ein Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs und den Mit­telbau beschlossen werden.

Bunia meldet sich zu Wort: Den Konsens über den dringenden Handlungsbedarf, den er hier auf dem Podium sieht, gibt es seit einigen Jahren. Seit zwei Jahren gebe es diese Bun­desregierung!

Gai Gehring (Grüne): Er predige seit 2005, dass in die Hochschulpakte auch Mindeststan­dards für die Beschäftigung hinein müssen. Und auch die Empfehlungen des Wissen­schaftsrats vom Sommer 2015 müssten in der Regierung debattiert werden.

Simone Raatz (SPD): Sie dankt der GEW und Andreas Keller, dass sie mit der jahrelangen Debatte schon etwas bewegt hätten.

Ralf Lenkert (LINKE): Er weist darauf hin, dass die Planungsnotwendigkeit für die Hoch­schulen dank des WissZeitVG gering sei. Und die Industrie profitiere so von Hochqualifi­zierten, die bei ihr unterkommen wollen.

Peter Hauck-Scholz: Er wendet sich gegen die Zögerlichkeit der Bundesregierung und meint, dass jedes Bundesgesetz von den Ländern ausgeführt werden müsse, und man ein WissZeitVG auch so formulieren könne, dass die Länder ihm Folge leisten.

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Dr. Veit Larmann
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